Menschenliebe heißt, dass ich die Menschen liebe, wie sie sind, dass ich mich über sie freue, wie sie sind, dass ich mich als ihnen gleich erkenne und jeden in seiner Einzigartigkeit liebe, ohne den Wunsch, dass er anders sei, als er ist. In diesem Sinne liebe ich auch sein Schicksal, wie es ist, selbst wenn ich es nicht verstehe, selbst wenn es mich herausfordert, mich auch einschränkt, mir eine Bürde auferlegt. Sein Schicksal ist nicht anders als meines, wenn ich sein und mein Schicksal als vorherbestimmt erfasse, und in diesem Sinne auch unausweichlich.
Dann sehe ich ihn und mich größeren Kräften ausgeliefert und untertan, denen er und ich uns gleichermaßen fügen, was immer es uns an Freud und Leid ermöglicht und zumutet. Aus der Zustimmung zu diesen Mächten erwächst die wahre Menschenliebe, jedem gleichermaßen zugewandt, weil sie sich weder besser noch schlechter, weder größer noch kleiner weiß, sondern allen vor etwas Größerem ebenbürtig und gleich.
Was steht der Menschenliebe entgegen? Das Urteil, dass die einen besser und die anderen schlechter sind. Denn dann bestimme ich in meinem Herzen, wer geliebt und wer nicht geliebt werden darf, wer menschenwürdig oder menschenunwürdig ist, und letztlich darüber, wer leben darf und wer nicht.